Im Babylon steht die einzige, in Deutschland am originalen Standort erhaltene Kinoorgel. Diese seinerzeit größte, deutsche Kinoorchesterorgel stammt von der Firma Philips aus Frankfurt am Main und wurde von der Fachwelt in hohen Tönen gelobt:
„Die neue Kino-Orchester-Orgel dürfte berufen sein, die ausländische Konkurrenz … endlich aus dem Felde zu schlagen.“ (Deutsche Instrumentenbau-Zeitung, 1929)
Die Orgel wurde 2019 mit Mitteln der Deutschen Klassen Lotterie Berlin restauriert.
Der im großen Kinosaal links vorn stehende Orgelspieltisch hat 2 Manuale, 1 Pedal , 100 Register, Tremolo, 4 freie Kombinationen, 8 Pistons, 1 Schwellwerk und vieles mehr.
Die eigentliche Orgelanlage, welche auf 2/3 Höhe links hinter der seitlichen Holzverkleidung steht, hat 66 Pfeifenregister aus 913 Orgelpfeifen, davon 280 Zungenstimmen, sowie 137 Klangteile und 34 Effekten. Das sind vielseitigste Geräusche, die zu einer Stummfilmbegleitung nötig sind. Die größte Orgelpfeife ist 3,10 m hoch, die kleinste 10mm plus Fuß.
Etliche Jahre war die Babylon Kinoorgel außer Betrieb. Die äußerst aufwändige und langwierige Generalüberholung der eigentlichen Orgelanlage führte Dr. Ing. Dagobert Liers aus Berlin Lichtenberg von 1993 bis 1998 durch.
Der total verkommene Spieltisch wurde 1994 von der Kunsttischlerei Hans Joachim Eichberg in Berlin Pankow völlig generalüberholt. Von 2005 bis 2008 überholte, reparierte, reinigte und stimmte der Orgelbauer Hans Joachim Eichberg (Jahrgang 1930) die gesamte Orgelanlage in allen Teilen.
1.) Diese Werk ist eine Multiplex-Orgel. Aus 13 Registern (davon 4 Zungenregister, das sind die roten Wippen) werden sämtliche Register auf elektro-mechanisch-pneumatischen Wege angespielt. Die namentlichen Bezeichnungen der einzelnen Register im 1. oder 2. Manual und im Pedal sind aber z.T. unterschiedlich. Siehe anhängende Liste.
2.) Im Spieltisch rechts oben der viereckige rote Knopf ist der Motorschalter. Diesen kurz drücken, dann hat der Motor in einer Minute volle Leistung und der Knopf leuchtet! Zum Ausschalten kurz den weißen Knopf drücken! Die gesamte Spieltischbeleuchtung geht über den weißen runden Knopf rechts neben dem 1. Manual. Die notenbeleuchtung ist an der Lampe rechts separat abschaltbar. Am Notenständer nach dem Aufrichten hinten den Stützwinkel nach rechts drehen!
3.) Die gesamte Orgel mit allen Orgelpfeifen, Zungenstimmen und den Effekten stehen in einem Schwellwerk! Der rechte Schwelltritt über dem Pedal betätigt nacheinander 10 große Schwellklappen!
4.) Der linke Schwelltritt schaltet die Register von Piano bis Forte! Allerdings wird dabei das 2. Manual nicht registriert. Dieses läßt sich aber mit den Registerwippen nach Wunsch registrieren!
5.) Der Tuttiknopf rechts unterm 1. Manual aber registriert beidemanuale und das Pedal etwas unterschiedlich!
6.) In allen festen und freien Registrieungen sind grundsätzlich keine Koppeln enthalten! Diese müssen immer zusätzlich von Hand geschaltet werden und zwar mit den Metalltasten rechts über dem 2. Manual! Sie lösen sich aber gegenseitig aus! Will man also 2 oder 2 Koppeln schalten, müssen diese gleichzeitig gedrückt werden! Ganz rechts ist der Abschalter!
7.) Die Metalltasten links über dem 2. Manual sind festgelegte Registerzusammenstellung. Einzelheiten siehe Liste
8.) Die 4 Reihen Knöpfchen ganz oben sind die freien Kombinationen. Diese sind aber nur für bestimmte nummerierte Register. Zum einschalten werden diese reingedrückt! Durch das Schalten des entsprechenden Knopfes unter dem 1. Manual wird die jeweilige Knopfes unter dem 1.Manual wird die jeweilige Kombination aktiviert. Links ist der Auslöser dafür. Auch sie lösen auch gegenseitig aus!
9.) Grundsätzlich ist die linke obere Registerwippenreihe etwa bis zur Mitte für das untere 1. Manual zuständig.
10.) Die braune Wippe in der Mitte ist die Harfe I, die von G – g³ geht.
11.) Die Effekte auf den 8 bernsteinfarbigen Wippen, in der Mitte der oberen Reihe, werden nur beim Spielen im 1. Manual aktiviert, sonst nicht. Sämtliche Tasten im 1. Manual aktivieren diese Effekte beim Anschlagen!
12.) Die rechte obere Hälfte ist für das 2.Manual zuständig!
13.) Ganz rechts sind 4 braune Register, eines davon ist die Harfe II – auch diese geht logischerweise nur von G – g³.
14.) Die Kirchenglocken gehen von a – e².
15.) Die Orchesterglocken gehen von c – c4. Die obere Oktav repetiert.
16.) Das Xylophon geht auch von c – c4 und repetiert ebenfalls.
17.) Die linke untere Reihe der Registerwippen ist fürs Pedal zuständig.
18.) In der Mitte ist die braune Wippe für die Kirchenglocken im Pedal zuständig. Der Effekt geht von A – e.
19.) Rechts davon schalten die 3 bernsteinfarbigen Wippen, auf jeder beliebigen Pedaltaste zusätzlich zum Ton, den eingeschalteten Effekt wie Pauke, Becken oder Trommel!
20.) Rechts davon die braune Wippe ist das Tremolo.
21.) Daneben rechts die braune Wippe ist das Tremolo Vox Humana. Dieser Tremolant ist nicht nur für das Vox Humana-Register geeignet, sondern auch für alle anderen gedeckten oder flötigen Register im 1. oder 2. Manual, wie auch für die hohen Register wie 2 2/3´ , 2´ oder 1 3/5´ bestens geeignet. Streicher sprechen kaum auf das Tremolo an.
22.) Die weiter rechts befindlichen weißen Wippen mit den 2 Querstrichen sind Effekte, die nur solange gehen, wie die Wippe runtergedrückt wird.
23.) Bei den Wippen mit einem Querstrich geht der Effekt solange, wie die Wippe eingeschaltet bleibt.
24.) Ganz rechts der Effekt Glockengeläut schaltet automatisch in unterschiedlichen Zyklen die Tönea, cs1 , e1 und fs1, solange die Wippe eingeschaltet bleibt.
25.) Die 8 Pistons überm Pedal reagieren auf einen Fußdruck und sind Wiederholungen von Effekten in der Handregistrierung, Bis auf Feueralarm und Donner, die sind Einmalig in der Disposition.
26.) Grundsätzliches:
Ist der Motor eingeschaltet, stehen sämtliche Register und Effekte unter Winddruck von 350 mm Wassersäule. Bei einer evtl. auftretenden Störung oder einem Heuler bringt das abschalten des Registers gar nichts! Am Besten das Schwellwerk sofort schließen und den Motor sofort abschalten! Nach ca. 5 Minuten evtl. den Motor wieder einschalten. Vielleicht ist die Störung dann verschwunden!
Ansonsten kurzfristig die Kinoleitung oder den Orgelbauer verständigen.
Einzigartig:
Wie in den alten Kinopalästen, die einzig in Deutschland festangestellte Hausorganistin im Kino Babylon.
Anna Vavilkina studierte am Moskauer Konservatorium und an den Musikhochschulen in Lübeck und Detmold. Sie wurde ausgezeichnet beim Internationalen Orgelwettbewerb in Minsk und war Finalistin bei internationalen Wettbewerben für Orgelimprovisation in Deutschland und Österreich.
Die Babylon Besucher können Anna Vavilkina während der samstäglichen Reihe „Stummfilm um Mitternacht“ live erleben und außerdem nahezu täglich vor dem Hauptfilm.
Berlin, 02.03.2017
Soeben erreicht uns folgende Nachricht:
Zwei Tage vor seinem 88 Geburtstag ist Hans Joachim Eichberg gestorben. Damit verliert das Babylon viel mehr als den Orgelbaumeister, der getreu seinem Lieblingsspruch: "Geht nicht, gibts nicht" für jedes Problem eine Lösung hatte.
Hans Eichberg, der sich bereits durch die schwejgsche Klugheit seiner Mutter der Hitler Jugend entzogen hatte, wird für mich immer das beste Beispiel für die Kreativität deutscher Ingenieurskunst bleiben. In einem Land des Mangels und der Ausreden für Halbleistungen (DDR) verblüffte er mit genialen, einfachen technischen Lösungen. Seine Anfang der 60er Jahre gebaute, vollautomatische Waschmaschine steht heute im Museum. Er kam im Jahr 2005 von sich aus zur Neueröffnung des Babylon und bot seine unentgeltliche Hilfe bei der Wiederinbetriebnahme der Orgel an. Zu dem Zeitpunkt lag uns ein Kostenvoranschlag von einem anderen Orgelbauer über 50.000,-€ vor. Das Babylon hatte aber kein Geld für die Orgel. Und so machte sich Hans mit seinen damals 75 Jahren an die mitunter halsbrecherische Arbeit. Seiner Initiative verdankt das Babylon letztlich die einzige festangestellte Kinoorganistin Deutschlands. Seiner Initiative ist letztlich auch die Reihe Stummfilm um Mitternacht zu verdanken. Durch seine Initiative wurde das Babylon zum führenden Aufführungsort von Stummfilmen in Deutschland.
Ich kann den Spott von Zeitgenossen über die unentgeltliche Arbeitsleistung für dieses Instrument und das Haus hören. Gerade Hans war der Einzige, der in Zeiten, als viele den finanziellen Ruin des Babylon herbei schreiben wollten, mich persönlich fragte, ob er dem Haus finanziell helfen kann. Das rührte mich zu Tränen.
Hans Eichberg spielte selbst die Orgel, das hatte er sich beigebracht. In seiner Wohnung steht eine voll funktionstüchtige Orgel, Marke Eigenbau. Er liebte es, seine Ideen umzusetzen und war sich für keine Arbeit zu schade. Die Ideologien des 20. Jahrhunderts hat er "übersehen".
Hans, Du verschmitzter Schwejg, Du genialer Ingenieur und Orgelbauer und Kunsttischler in eigenem Auftrag, wer wenn nicht Du kann 100 Jahre leben und arbeiten und leben.
Du bestes Beispiel deutscher Tüchtigkeit wirst für mich ein Vorbild bleiben!
Timothy Grossman